Ausgangslage

Die Wirtschaftsmittelschule in Bern bietet 2 Ausbildungen an. Einerseits lassen sich Jugendliche in einer 4-jährigen Ausbildung zur Kauffrau, bzw. zum Kaufmann mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis mit Berufsmaturität ausbilden. Andererseits können junge Erwachsenen nach absolvierter Berufsbildung als Kauffrau, bzw. Kaufmann in einem Vollzeit- oder berufsbegleiteten Lehrgang (ein-, bzw. zweijährig) die Berufsmaturität nachholen (BM2). Die in dieser Arbeit dargelegten Überlegungen und Planungsinstrumente zum kompetenzorientierten Geschichtsunterricht beziehen sich auf die 4-jährige Ausbildung mit Berufsmaturität. Das Fach Geschichte Staatskunde ist in dieser Ausbildung über 3 Jahre mit 2 Wochenlektionen dotiert. Abschlussprüfung gibt es keine. Für die Abschlussnote gelten alle 6 Semesternoten gemittelt als Vorschlagsnote. (bwdbern.ch, o.D.)

Abbildung 1: Lektionentafel EFZ mit BM (bwdbern.ch o.D.)
Abbildung 1: Lektionentafel EFZ mit BM (bwdbern.ch o.D.)

 

Welche Voraussetzungen bringen die Schülerinnen und Schüler mit, die unsere Schule besuchen wollen? Das Aufnahmeverfahren ist so geregelt, dass Schülerinnen und Schüler aus Gymnasien mit einem genügenden Zeugnis prüfungsfrei die Ausbildung an der Wirtschaftsmittelschule aufnehmen können. Ebenso SchülerInnen aus den Sek I Klassen mit einem Empfehlungsschreiben ihrer Schule. Wer diese Kriterien nicht erfüllt, wird zur einer Aufnahmeprüfung eingeladen. (bwdbern.ch o.D.)

 

Der heterogenen Herkunft unserer SchülerInnen entsprechend, erreichen uns Auszubildende mit relativ unterschiedlichem Vorwissen. Um das Vorwissen meiner Geschichtsklassen zu Beginn der Prüfung abzuschätzen habe ich im letzten Schuljahr begonnen gleich zu Beginn der Abbildung eine «Standortbestimmung» vorzunehmen (siehe angehängtes Dokument). Dabei geht es mir in erster Linie darum, das Vorwissen meiner SchülerInnen in Bezug auf klassische historische Themen aus dem Schullehrplan zu erfassen. Dies soll mir ermöglichen gleich zu Beginn abzuschätzen, welche Themen in den Sek I Jahren wie gut abgedeckt wurden und vor allem die SchülerInnen mit wenig Vorwissen frühzeitig enger zu begleiten sowie SchülerInnen mit einem gut gefüllten historischen Rucksack mit entsprechenden Aufgabenstellungen zu fördern.

 

Die Visualisierung der Ergebnisse aus dieser Standortbestimmung gibt uns aber auch interessante Hinweise in Bezug auf den kompetenzorientierten Unterricht. Natürlich zeigen die Zahlen nur die Ergebnisse einer Schulklasse und haben damit keine statistische Relevanz, sondern nur die Aussagekraft einer Stichprobe. Trotzdem zeigen sie exemplarisch, wie sich eine Schulklasse in Bezug auf das Fachwissen im Bereich Geschichte zu Beginn der Ausbildung präsentieren könnte.

Chronologie von historischen Ereignissen

In einer ersten Aufgabe mussten die Schülerinnen historische Schlüsselereignisse auf einer Zeitleiste eintragen. In Bezug auf die ausgesuchten Ereignisse gilt es anzumerken, dass diese Themen alle im Rahmen des Schullehrplans für das Fach Geschichte an der WMB behandelt werden.


Die zweite Darstellung zeigt die Verteilung von stärkeren und schwächeren Schülern in Bezug auf das historische Einordnen von Schlüsselereignissen. Die Kategorisierung bezieht sich auf die Anzahl der korrekt eingetragenen Ereignisse (von total 10).


Auffälligkeiten " Chronologie von historischen Ereignissen"

 

Wie oben bereits erwähnt sollte man bei der Interpretation und Verallgemeinerung der Ergebnisse vorsichtig sein, da es sich nur um eine Stichprobe handelt. Trotzdem gibt es bei den Resultaten einige Auffälligkeiten, die man getrost einmal zusammentragen kann:

 

  • In Bezug auf das Fachwissen ist die Klasse enorm heterogen. Dies zeigt bereits die Aufgabe historische Ereignisse einzuordnen. Es gibt in der Klasse Lernende, die offenbar keine oder kaum eine Vorstellung von einem historischen Zeitbegriff haben. Andere tragen die meisten einzelnen Ereignisse präzise und historische Epochen als Phasen mit Beginn und Ende der Zeitdauer ein.
  • Grundsätzlich haben sehr viele SchülerInnen Schwierigkeiten die grundlegendsten historischen Ereignisse historisch einzuordnen. Nur 6 von 23 Schülerinnen ist es gelungen mehr als die Hälfte der Ereignisse korrekt zu platzieren. Genau gleich vielen ist es nicht gelungen mehr 2 Ereignisse historisch korrekt einzuordnen.
  • Offenbar fällt es den meisten Lernenden leichter die Ereignisse des 20. Jahrhunderts zu platzieren. Die 3 Ereignisse aus dem 18. und 19. Jahrhundert wurden allesamt sehr schlecht eingeordnet.

Wissensstand zu einzelnen historischen Themen

In einem zweiten Schritt mussten die Schülerinnen Fragen zu einzelnen historischen Themen beantworten. Diese Fragen zielen auf das grundlegende Verständnis eines Themas ab und nicht auf das vertiefte Wissen. Unter diesem Aspekt wurden die Antworten auch ausgewertet. Eine Antwort musste nicht vollständig sein und alle historischen Umstände beinhalten. Es war ausreichend, dass die SchülerInnen die Frage einordnen konnten und eine brauchbare (Teil-)Antwort darauf geliefert haben.




Auffälligkeiten "Wissensstand zu einzelnen historischen Themen"

 

Auch hier versuchen wir zuerst einmal die Auffälligkeiten zusammenzutragen:

 

  • Abgesehen vielleicht vom Thema der beiden Weltkriege können wir nicht davon ausgehen, dass Lernende ein Standardthema im bisherigen Unterricht sicher bereits behandelt haben. Meistens ist es aber deutlich die Mehrheit der Lernenden, die den Themen des Geschichtslehrplanes an der WMB bereits einmal begegnet sind. Nicht berücksichtigt sind dabei diejenigen, die sich schlicht nicht mehr an das Thema erinnern können, obwohl sie es behandelt haben (was leider immer wieder vorkommt).
  • Das Vorwissen zu den einzelnen Themen ist extrem unterschiedlich. Neben bereits sehr differenzierten und reflektierten Antworten zu den Vertiefungsfragen, blieben sehr häufig auch die einfachsten Fragen schlicht unbeantwortet.
  • Selbst wenn das Thema im der vorherigen Schullaufbahn bereits behandelt wurde bedeutet das nicht, dass das Wissen für die SchülerInnen noch verfügbar ist und sie in der Lage sind ganz grundlegende Frage zu diesem Thema zu beantworten. Beispiel eins: Obwohl fast alle Lernenden dem Thema 2. Weltkrieg im Unterricht schon begegnet sind (21 von 23) sind nur 2 in der Lage einigermassen klar zu formulieren, was «Nationalsozialismus» bedeutet. Beispiel zwei: Von den 18 Lernenden, die sich offenbar bereits mindestens einmal mit der französischen Revolution auseinandergesetzt haben können nur 4 deren Ursache in einfachster Form erklären.

Konsequenzen für den kompetenzorientierten Geschichtsunterricht

Die Herausforderung für den Geschichtsunterricht an einer Mittelschule wie die WMB ist offensichtlich. Wie gestellten wir nun den Geschichtsunterricht unter Berücksichtigung der festgestellten Muster und Auffälligkeiten der ausgewählten Klasse? Bevor wir uns vertieft mit der Kompetenzorientierung auseinandersetzen werfen die Resultate zumindest einige Fragen auf:

 

  • Wie effizient ist das «herkömmliche Behandeln» von klassischen historischen Themen im Unterricht, wenn dabei bei den Lernenden offenbar so wenig hängenbleibt? Und daraus folgend: Macht es Sinn, dass wir die Themen, die die viele Lernende schon einmal im Unterricht behandelt haben einfach noch einmal über 3 Jahre verteilt in chronologischer Reihenfolge behandeln? Im Sinne von steter Tropfen höhlt den Stein? Diese Herausforderung wird sich mit der Einführung der Lehrplans 21 übrigens akzentuieren. Die Zeiten, als viele Klassen im Geschichtsunterricht bis zur Oberstufe gar nie bis ins 20. Jahrhundert kamen, sind mit der Einführung des neuen Lehrplans vorbei. Im Lehrplan 21 bilden die Jahre 1500 bis zur Gegenwart das Schwergewicht auf der Oberstufe. Französische Revolution, Globalisierung und die beiden Weltkriege gehören zu den zentralen Themen. (BEGLINGER, 2017, 90f)
  • Wie geht man mit der Heterogenität der Lernenden um? Wie muss ich meinem Unterricht gestalten im Wissen um diese riesige Bandbreite an Vorwissen? Und wie kann ich allen SchülerInnen einen angemessen fordernden Unterricht gewährleisten?
  • Wie lösen wir das Problem, dass vor allem die klassischen Unterrichtsthemen aus dem aus dem 18. und 19. Jahrhundert bei den Lernenden wenig Anklang finden? Wie schaffen wir es, dass sie auch die Relevanz dieser Themen nachvollziehen können und deren Auswirkungen auf das heutige Leben erfassen?

 

Es ist kein Zufall, dass uns diese zugegebenermassen sehr kleine Standortbestimmung einer Schulklasse zu den obigen Fragestellungen geführt hat. Es sind die grundlegenden Fragestellungen, die sich viele Lehrpersonen und Didaktiker schon seit vielen Jahren stellen und

für die wir nun im Grundsatz der «Kompetenzorientierung» zumindest theoretische Ansätze für passende Antworten dieser herausfordernden Fragestellungen finden können. Es gibt also gute Gründe dem Grundsatz der «Kompetenzorientierung» eine Chance zu geben. Fast ketzerisch könnte man sogar anmerken: Viel haben wir in Bezug auf den Lernerfolg ja nicht zu verlieren.

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