Kognitiv und sozial aktivierende Aufgabenstruktur

(auch: Problemorientierung)

Um zu verstehen, was «problemorientiertes Lernen» heissen kann, hilft uns Martin Wagenschein weiter. In seiner Einführung zu Wagenscheins Buch «Verstehen lernen (1999) beschreibt Hartmut von Hentig das Besondere an dieser Didaktik so: «Wagenschein nennt sein Vorgehen «genetisch» und meint damit: den Schüler in die Lage versetzen, in der das noch unverstandene Problem so vor ihm steht, wie es vor der Menschheit stand, als es noch nicht gelöst war.» (WAGENSCHEIN: 1968, 14)

 

Wagenschein fordert also dazu auf, die Lernden vor echte Probleme und Herausforderungen zu stellen. Dies mag im naturwissenschaftlichen Bereich (und da kommt Wagenschein her) noch etwas einfacher zu sein als im Geschichtsunterricht, aber die Forderung nach «Problemorientierung» ist offensichtlich. Auch für Andreas Büchter und Timo Leuders gilt das für den kompetenzorientierten Unterricht in besonderem Maße, weil Kompetenzen ausdrücklich dazu befähigen sollen, auch völlig neue und unbekannte Anforderungssituationen zu meistern. Routine und Standardaufgaben reichen dazu nicht aus. Vielmehr müssen immer wieder Situationen des Erkundens, Entdeckens und Erfindens geschaffen werden damit die Schüler(innen) die Chance haben, eigene Lösungsstrategien zu entwickeln und zu erproben. (BÜCHTER/LEUDERS: 2006, 10)

 

Gemäss Wagenschein bedarf es in der konkreten Umsetzung der Auswahlprinzipien, der Beschränkung auf das Wesentliche. Wagenschein hat den heute ausgetragen und häufig oberflächlich verwendeten Begriff «Mut zur Lücke» geprägt, womit er gleichzeitig auch den Mut zur Gründlichkeit einbezieht und die Entscheidung bei einigen Themen intensiv zu verweilen.

 

«Zwischen den gutgegründeten Brückenpfeilern leiten dann luftigere Bögen schneller fort. Je ernster die Verdichtung, desto gleitender die Verbindung zwischen den Nestern der Gründlichkeit. Streckenweise so zu gleiten, ist dann nicht ungründlich, es ist gegründet auf eben diese Pfeiler. Noch andere Bilder bieten sich an: Ablegerpflänzchen, die die Ranke setzt und fortsetzt (wie bei der Erdbeere); - ein Flug, der seine Kraft zieht aus dem Heimatgefühl, das er auf dem vorigen Nist- und Ruheplatz mitgenommen hat und aus der Gewissheit, dass er bald wieder gründlich werden darf; - in der Sprache des Segelfliegers: Im Aufwind über einem Ort Niveau gewinnen, das dann den schnell fortführenden Gleitflug erst erlaubt – bis zum nächsten stillen Steigen.» (WAGENSCHEIN: 1968, 31)

 

Etwas weniger poetisch präsentiert Wagenschein dann später das Bild von «Plattformen», die den Lernenden immer wieder angeboten werden sollen, um «echte Forschungsarbeit» zu ermöglichen.

Abbildung 17: Die Errichtung von Plattformen (WAGENSCHEIN: 1968, 30)
Abbildung 17: Die Errichtung von Plattformen (WAGENSCHEIN: 1968, 30)

Dieses Konzept von Unterricht (in der Abbildung Figur III) führt natürlich dazu, dass in der verbleibenden Zeit «zwischen den Plattformen», Basiswissen in etwas kompakterer Form «im Überblick» vermittelt werden muss. Dies ist aber nur legitim, und das ist bei Wagenschein von elementarer Bedeutung, wenn das Versprechen nach regelmässiger Vertiefung, oder eben Plattformen, auch wirklich eingelöst wird.

 

 «Bildung ist kein additiver Prozess. Wo additive Verfilzung falsch ist, kann deshalb substraktive Auskämmung auch nicht richtig sein. Der Stoff wird dann fadenscheinig und substanzlos. Es entsteht ein verdünnter systematischer Lehrgang. Niemand wird diese Wenigwisserei für eine Rettung halten von der Vielwisserei. Aber manche Empfehlung, den Stoff «in grossen Zügen», «im Überblick» zu bieten, liegt nicht weit davon ab.»

Konsequenzen für den kompetenzorientierten Geschichtsunterricht

Die Forderung nach «problemorientiertem» Unterricht ist breit abgestützt und nachvollziehbar. Aber gerade in einem Fach wie Geschichte liegt es nicht immer auf der Hand, wie solche Aufgabenstellungen gefunden werden sollen, steht doch gerade «das Vergangene» im Zentrum des Unterrichts. Nichtsdestotrotz wird auch der Geschichtsunterricht die Möglichkeit bieten, Schülerinnen und Schüler mit «echten» Problemen zu konfrontieren, nicht zuletzt, wenn man sich an deren Lebenswelt orientiert und aus ihrer Perspektive Fragen an die Geschichte stellt. Generell nehmen wir uns zu Herzen, dass reine Papier- und Stiftaufgaben mit klar vorgegeben Lösungen, nicht zum Grundrepertoire des kompetenzorientierten Unterrichts gehören.