Kompetenzbezogene Kontrolle der Lernergebnisse

Leider ist es eine Tatsache, dass viele Lehrpersonen die Noten als das einzige Mittel sehen, um Schüler und Schülerinnen dazu zu bringen sich in Ihrem Fach zu engagieren. Das ist absolut nachvollziehbar. Sind Lernende einmal darauf getrimmt, dass nur die benoteten Leistungen über ihren schulischen Erfolg entscheiden, lassen sie sich mit anderen Mitteln nur schwer aus der Reserve locken. Das ist umso

betrüblicher als dass es heute längstens erwiesen ist, dass Noten auf lange Sicht kontraproduktiv sind und dem natürlichen und  nachhaltigen Lernen nach Interessen und mit Emotionen den Weg verstellen. Daniel Hunziker schreibt in seinem Buch „Hokuspokus Kompetenz“ dass Noten bei den Jugendlichen zum „Bulimielernen“ führe. Die Schülerinnen und Schüler stopfen für die Prüfung Wissen in sich hinein, um es dann unverdaut wieder herauszuwürgen. Noten als „Lernmotivation“ einzusetzen ist absurd und kann den Weg zu „sinnhaftem“ Lernen in keiner Art und Weise ersetzen. In den Augen von Hunziker machen Lernstandskontrolle wohl Sinn und zwar aus einem prognostischen und diagnostischen Interesse. Aber Noten wären in seinen Augen dazu nicht nötig. (HUNZIKER: 2015, 55)

 

Für den kompetenzorientierten Unterricht ist es zentral sich ganz grundsätzlich die Frage zu stellen, wie man bewerten und schlussendliche auch selektionieren will. Denn alle Merkmale von kompetenzorientiertem Unterricht anzuwenden und dann die Lernenden in herkömmlichen schriftlichen (oder mündlichen) Prüfungen mit einer Note abzuqualifizieren, würde alle Anstrengungen ad absurdum führen. Wenn wir die bisherigen Merkmale des kompetenzorientierten Unterrichts berücksichtigen, passen herkömmliche Bewertungsformen wie die Faust aufs Auge. Wie kann ich Lernende empathisch begleiten, eine gute Schüler-Lehrer Beziehung aufbauen, sie ihr Arbeitsverhalten und den eigenen Lernstand reflektieren lassen und Ihnen dann am Schluss ein Blatt mit einer Note in die Hand drücken. Es ist deshalb logisch, dass wir hier auch die Bewertungsformen überdenken und schlussendlich anpassen müssen.

 

Beat Bertschy, Dominicq Riedo und Franz Baeriswyl haben in einem Beitrag zu den Beurteilungsformen im kompetenzorientierten Unterricht die Leitlinien des Bewertens im kompetenzorientierten Unterricht zusammengetragen, die im Folgenden in verdichteter Form wiedergegeben werden. Im Vergleich zum klassischen Lernen, Testen und Prüfen unterscheidet sich die kompetenzorientierte Beurteilung durch Bewertungskriterien, welche auf nach Leistungsniveaus abgestuften Kompetenzbeschreibungen (z.B. Kompetenzrastern) beruhen. Dadurch erhalten die Lehrpersonen differenziertere Beurteilungskriterien, als es in der herkömmlichen Form die Lernziele darstellen. Bei dieser Form der Beurteilung stehen die Lehrpersonen vor der Herausforderung anspruchsvolle Aufgaben zu gestalten, mit denen Kompetenzen auf den verschiedenen Stufen geprüft werden können. (BERTSCHY/RIEDO/BAERISWYL: 2014, 375ff) Das Problem dabei ist, dass nicht die Kompetenzen selbst, sondern nur die darauf aufbauende Performanz in einer Lernstandskontrolle abgefragt werden kann. Hilbert Meyer führt dazu aus, dass der Begriff Kompetenz (wörtlich übersetzt „Fähigkeit“) ein theoretisches Konstrukt ist, also eine Erfindung von Wissenschaftlern, mit deren Hilfe zwischen der gezeigten Leistung und den ihr zugrundeliegenden Tiefenstrukturen unterschieden wird. Man kann Kompetenzen ebenso wenig sehen, riechen oder fühlen wie das Lernen. Man sieht nur, was Menschen mithilfe ihrer Kompetenzen zustande bringen. (MEYER: 2007, 147). Eine erste Schwierigkeit liegt also darin die Aufgaben so zu formulieren, dass die geforderte Performanz tatsächlich Rückschlüsse auf die zu beurteilende Kompetenz zulässt.

Abbildung 16: Oberflächen- und Tiefenstruktur (MEYER: 2007, 147)
Abbildung 16: Oberflächen- und Tiefenstruktur (MEYER: 2007, 147)

Ausserdem merken Bertschy, Riedo und Baeriswyl an, dass die Korrektur und Bewertung problemorientierter Aufgaben mit hohem zeitlichen Aufwand verbunden ist. Problembezogene Aufgaben sind immer offen formuliert und lassen bei der Problemlösung verschieden Wege zu, die zum Teil verschieden Fachbereich betreffen und eine fachspezifische Zuordnung erschweren. Sie bieten dazu zwei

Möglichkeiten an, die das Bewerten und Formulieren von Prüfungsaufgaben erleichtern sollen.

 

1) Es können in Prüfungen auch Teilkompetenzen geprüft werden im Sinne einer Überprüfung des vertikalen Lerntransfers. Zudem decken Anwendungsaufgaben den horizontalen Lerntransfer ab. Für die Korrektur bei komplexeren Aufgaben bieten sich zudem allgemeine Beurteilungskriterien an, die neben den fachspezifischen Kompetenzrastern angewendet werden können.

  • Relevanz und Stichhaltigkeit der Ideen
  • Qualität des fachlichen Handwerks
  • Kohärenz
  • Formale Korrektheit

2) Als zweite Möglichkeit bietet sich an für die Bewertung vielfältige Leistungsnachweise zu berücksichtigen, was häufig auch situativer und «authentischer» ist als künstliche Prüfungssituationen. Dabei schlagen die Autoren zum Beispiel mündliche, produktorientierte und handlungsorientierte Überprüfungsformen vor. (BERTSCHY/RIEDO/BAERISWYL: 2014, 377f)

 

 

Unter dem Blickwinkel des systematischen Kompetenzaufbaus erhalten im kompetenzorientierten Unterricht auch die formativen (lernsteuernden) Beurteilungsformen einen höheren Stellenwert. Im Sinne der individuellen Lernbegleitung erhalten die SchülerInnen erhalten die Lernenden regelmässig Rückmeldung auf der Ebene der Lernprozesse. Kompetenzorientierte Beurteilung eröffnet zudem die Chance überfachliche Kompetenzen und selbstregulative Kompetenzen kriteriumsorientiert zu beurteilen und damit aufzuwerten. (BERTSCHY/RIEDO/BAERISWYL: 2014, 376f)

 

Auch Annemarie von der Groeben konstatiert, dass es für jede Schule und in jedem Unterricht möglich ist die Alleinherrschaft von Tests und «Noten» durch ein flexibles System von unterschiedlichen aufeinander bezogenen Formen der Leistungsbeurteilung und –bewertung zu ersetzen. Dazu gehören:

  • Eine stärkenorientierte, individuelle Beratung (siehe Merkmal 1)
  • Individuelle Rückmeldungen für schriftliche Arbeiten
  • Ein ausgeprägtes und eingeübtes Feedback-System (aus der Klasse)
  • Formen der Selbst- und Fremdbewertung durch «kollegiale Beratung» im Tandem oder Team, bezogen auf transparente Kriterien, individuelle Vereinbarungen oder Verträge
  • Eine ausführliche Würdigung der Jahresleistung durch einen individuellen Lernbericht (eventuell auf Basis eines Portfolios)
  • Und schlussendlich: Einer Jahres- (oder bei uns Semester-)note, bezogen auf den gesamten Leistungsprozess und seine Ergebnisse.

(GROEDEN: 2011, 88f)

Konsequenzen für den kompetenzorientierten Geschichtsunterricht

Mit Blick auf die Merkmale des kompetenzorientierten Unterrichts und der Betonung der Bedeutung der Metakognition, drängt es sich

auf, dass man auch die Selbstreflexion in das neue «Bewertungskonzept» integriert. Dies würde diesem Bereich deutlich mehr Gewicht verleihen und den SchülerInnen in diesem Bereich Verantwortung übertragen und Vertrauen ausgedrückt.

 

Zudem ist bei einer «individuellen Lernbegleitung» fast zwingend so, dass formative Bewertungen (oder zumindest Rückmeldungen) ein

grösseres Gewicht bekommen. Hier gibt es eine Fülle von kreativen Möglichkeiten, die es auszuprobieren gilt (Neben Lehrer-Feedback auch diverse Formen von Peer- oder Klassenfeedback).

 

In Bezug auf den obigen Punkt bietet sich in einem Fach wie Geschichte besonders an auch die überfachlichen Kompetenzen bei den

Beurteilungen zu berücksichtigen, zumal der Unterricht auch gute Möglichkeiten bietet diese zu fördern. Dies würde bedingen, dass wir auch dazu sinnvolle Kompetenzraster finden, auf deren Basis eine Bewertung vorgenommen werden kann.

 

In Bezug auf das herkömmliche Bewerten anhand des Kompetenzraster ergibt sich in Bezug auf die Notengebung eine neue Situation.

In der Theorie zu den Kompetenzmodellen wird festgehalten, dass eine einmal erreichte Kompetenzstufe unter normalen Umständen nicht mehr «verloren» wird und ein Zurückfallen auf eine tiefere Stufe nicht vorgesehen ist. In dem Sinne würde sich anhand des angewendeten Kompetenzrasters zum Geschichtsunterricht die ungewöhnliche Situation ergeben, dass in allen Kompetenzbereichen (ausser der Sachkompetenz) der Lernstand entweder stabil bleibt oder sich verbessert. Der einzige Bereich, der bei neuen Themen neue Herausforderungen liefert ist der der Sachkompetenz, wo neue Begriffe und Modelle verstanden und angewendet werden müssen. Das Ziel ist ja die höheren Kompetenzstufen im Laufe des dreijjährigen Zyklus zu erreichen und nicht im Verlaufe einer Unterrichtseinheit. Damit ergibt sich generell ein Notenbild, bei dem die Noten mit Fortdauer der Ausbildung immer besser werden sollten.

 

Es soll ein Zusammenhang geschaffen werden zwischen einem leistungsdifferenzierenden Unterricht und einer Prüfungskultur, bei der

die Schülerinnen und Schüler Aufgaben auf unterschiedlichem Leistungsniveau bearbeiten und lösen können und deren Ergebnisse dann mithilfe der Noten differenziert bewertet werden. Es lassen sich zum Beispiel vermehrt Prüfungen durchführen, bei denen die Schülerinnen und Schüler Aufgaben, die unterschiedlichen Leistungsniveaus zugeordnet sind, nach eigener Wahl entsprechend ihrer aktuellen Leistungsfähigkeiten bearbeiten und lösen.

 

Zudem muss die Form der Aufgabenstellung bei Lernstandskontrollen, die auf dem Kompetenzraster basieren, neu gedacht werden.

Auch «Prüfungsaufgaben» sollten also eher einen «problemorientierten» Charakter haben.

 

Schlussendlich stehen wir vor der Herausforderung, dass wir am Semesterende alle Beurteilungsformen in eine Ziffernnote übertragen müssen, obwohl beim formativen Bewerten und bei der Beurteilung von überfachlichen Kompetenzen eher ein Gespräch oder allenfalls eine Beurteilung nach Prädikaten vorgenommen werden sollte. Im Moment ist im Zeugnis keine Bewertung mit Prädikaten vorgesehen, so müssten diese am Schluss des Semesters auch in ein gängiges Notenschema übertragen werden. Diese Note könnte allenfalls in einem

«Differenzbereinigungsgespräch» zusammen mit den Lernenden gesetzt werden.