Genaues und lernstufenbezogenes Beobachten

(auch: Lerncoaching/FEedback/individuelle Lernbegleitung)

Das genaue Beobachten der Schülerinnen und Schüler in Unterrichtssituation, die darauffolgende Diagnostizierung des Lernstandes und dann die Rückmeldung. Die formative Evaluation des Unterrichts ist gemäss der Metastudie von John Hattie (WAACK: 2018) das drittwirksamste Element für effektiven Unterricht von insgesamt 138 untersuchten Faktoren.

 

Für Andreas Feindt und Hilbert Meyer ist es der zentrale Baustein des kompetenzorientierten Unterrrichts und er umschreibt dieses Merkmal etwas präziser folgendermassen:

 

«Die individuelle Lernbegleitung ist ein Prozess genauen Hinschauens und pädagogische Beobachtens, der sich kontinuierlich durch den Unterricht zieht.» (FEINDT:2010, 7)

 

Die Idee ist also, dass die Lernenden gezielter als bisher in ihren individuellen Lernprozessen begleitet werden. Dies sollte gemäss Meyer (MEYER:2012, 5) «kompetenzstufenorientiert» geschehen. Hat eine Lehrerin oder ein Lehrer erkannt auf welcher Stufe sich eine Lernende befindet, dann kann und soll diese Person gezielt gefördert werden, um die nächste Stufe zu erreichen. Auch in den Augen von Meyer eine anspruchsvolle Arbeit, die vor allem durch 2 Faktoren erschwert werden.

 

  • Für die meisten Fächer und Schulstufen fehlen die empirisch geprüften Kompetenzmodelle
  • Die Grösse der Klassen verunmöglicht in vielen Fällen die individuelle Bereitstellung von Lernaufgaben.

Lernbegleitung kann aber nur gelingen, wenn man sich regelmässig einen Überblick über die verschiedenen Lernausgangslagen der SchülerInnen einer Kasse verschafft. Dies kann man einerseits durch das Auswerten von gezielten Aufgabenstellungen und andererseits auch im direkten Gespräch mit SchülerInnen geschehen.

 

Über die Idee, wie Lernbegleitung bei den Lernenden konkret aussehen könnte, gibt es eine Fülle von Literatur. Die Anforderungen in diesen Bereich an die Lehrpersonen sind gross. Michele Eschelmüller verlangt in diesem Bereich von den Lehrpersonen «diagnostische Expertise» und verlangt, dass sie für die dialogische Beratungsarbeit gleich viel Zeit aufwenden, um ihre Schüler und Schülerinnen zu verstehen, wie diese Zeit und Energie aufwenden müssen, um ihre Lehrkräfte und Lerninhalte zu verstehen. (ESCHELMÜLLER: 2007, 52)

 

Es würde nicht dem Rahmen und auch dem Ziel der vorliegenden Arbeit entsprechen hier die ganze Palette von Werkzeugen darzulegen, die gutes Lerncoaching (und damit das Beobachten, Diagnostizieren und Rückmelden von Lernstand und Lernstrategien) ausmachen. Aber wer sich entscheidet mit kompetenzorientiertem Unterricht zu starten und noch keine Erfahrung mit Lerncoaching gemacht hat, soll hier zumindest die Grundzüge dieser Arbeit kennenlernen.

 

Zuerst einmal arbeitet Eschelmüller vier Aufgaben heraus, die das Lerncoaching erfüllen muss. In der folgenden Grafik visualisiert er diese 4 Bereiche der Lerncoachingarbeit.

Abbildung 4: Lerncoaching als Bindeglied zwischen Instruktion und Konstruktion (ESCHEMLÜLLER: 2007, 12)
Abbildung 4: Lerncoaching als Bindeglied zwischen Instruktion und Konstruktion (ESCHEMLÜLLER: 2007, 12)

Eschelmüller formuliert des weiteren fünf Voraussetzungen für das Lerncoaching im klassengeführten Unterricht, die ich im Folgenden kurz zusammenfasse:

1.     Als Coach ein dialogisch-konstruktivistisches Lernverständnis haben

 

Diese Voraussetzung sollte in einem kompetenzorientierten Unterricht per se gegeben sein. Auch Eschelmüller betont, das Lernarrangements aktives Lernen ermöglichen müssen und dass Lernaufträge in möglichst authentische und alltagstypische Kontexte eingebettet werden müssen. Nicht vereinfachte Modelle, sondern die Realität («unstrukturierte Probleme») sind zu beachten. Er stellt dieses Lernverständnis dem «behavioristischen Lehrmodell» entgegen, dessen Merkmale guten Unterrichts vor allem auf den Faktoren gute Instruktion, keine störenden Reize und regelmässiges Repetieren beruht. Von ihm wird dieses Modell auch «Blackbox-Modell» genannt, weil das Gehirn dabei die Funktion eines Behälters einnimmt. (ESCHELMÖLLER, 2007, 25)

2.     Als Coach das Beratungsfeld der «Zone der nächsten Entwicklung» kennen.

 

Eine zentrale Voraussetzung für lernwirksamen Unterricht ist es die Lernenden bei ihren tatsächlichen Vorkenntnissen, Voraussetzungen und Interessen abzuholen und dann in einem zweiten Schritt die weiteren Lernschritte an diesem Vorwissen anknüpfen und darauf aufbauend gestaltet werden. Die Herausforderung liegt nun darin die Lernenden bezüglich Kompetenzerweiterung in die «Zone der nächsten Entwicklung» zu führen. Diese Zone ist so anspruchsvoll, dass die Lernsituation in einer ersten Phase nicht alleine bewältigt werden können, sondern die Unterstützung von Klassenkameraden oder der Lehrperson bedarf. Der Grad der Unterstützung kann dann mit der Zeit abgebaut werden. Zum Finden dieser Zone helfen die Kompetenzraster als Orientierung. (ESCHELMÖLLER, 2007, 27)

Abbildung 5: Die Zone der nächsten Entwicklung (ESCHELMÜLLER: 2007, 27)
Abbildung 5: Die Zone der nächsten Entwicklung (ESCHELMÜLLER: 2007, 27)

3.     Als Coach ein Verständnis für wirksamen, respektive guten Unterricht haben.

 

Das Leistungsvermögen von Schülerinnen und Schüler in einer Schulklasse ist normalerweise sehr unterschiedlich und die Unterschiede nehmen im Verlauf einer Schulkarriere eher noch zu. In einem wenig differenzierten Unterricht sind die meisten Lernenden entweder unter- oder überfordert. Daraus leitet Eschelmüller die Forderung nach differenzierten und individualisierten Lernangeboten ab. Für verschiedene Kompetenzbereiche sieht Eschelmüller andere zweckmässige Unterrichtssettings.

Abbildung 6: Kompetenzbereiche und passende Unterrichtssettings (ESCHELMÜLLER: 2007, 32)
Abbildung 6: Kompetenzbereiche und passende Unterrichtssettings (ESCHELMÜLLER: 2007, 32)

Dabei betont Eschelmüller, dass frontale Instruktionsformen durchaus weiterhin ihren Platz im Unterricht haben, aber in einem guten Verhältnis zu den Phasen des selbst gesteuerten, offenen Unterrichts, welches die idealen Gefässe sind für das Lerncoaching im Unterricht. (ESCHELMÖLLER, 2007, 32)

4.     Als Coach Verständnis für potenzielle Lernschwierigkeiten haben.

 

Schülerinnen und Schüler erfahren beim Lernen und Arbeiten regelmässig Lernschwierigkeiten und Lernstörungen. Je nach Grösse und Ursache dieser Lernstörungen haben diese unterschiedliche Auswirkungen auf das schulische (und ausserschulische) Leistungspotenzial. Fehlende Lernfreude sind der Anfang dieser Kausalkette, an deren Ende ein tiefes Selbstwertgefühl und häufig ein tieferer Schulabschluss steht. Lernschwierigkeiten und Lernstörungen bezeichnen nichts Anderes als Minderleistungen beim absichtsvollen Lernen. Nun ist es die Aufgabe der Lehrpersonen Unterstützung anzubieten, wenn es in einem Lernprozess harzt oder stockt, wo vielleicht bereichsspezifische Lernschwierigkeiten auftauchen aufgrund von Lernrückständen verschiedenster Art. Sie analysiert, interveniert, variiert den Mitteleinsatz und fördert das Selbstvertrauen. Dies ist gemäss Eschenmöller das Handlungsfeld des Lerncoachings im Klassenunterricht.

Eschenmöller präsentiert nun ein Phasenmodell, das darstellt, wo Lernschwierigkeiten im Unterricht entstehen könnten.

Abbildung 7: Das Phasenmodell der Aufgabenbearbeitung (ESCHELMÜLLER: 2007, 40)
Abbildung 7: Das Phasenmodell der Aufgabenbearbeitung (ESCHELMÜLLER: 2007, 40)

Passend zum Phasenmodell bietet Eschenmüller ein Raster an, das es Lehrpersonen ermöglichen soll Lernende bei der Aufgabenbearbeitung zu unterstützen und nicht einfach generell festzustellen, dass eine Schülerin und ein Schüler «Mühe hat». (ESCHELMÖLLER, 2007, 43)

Abbildung 8: Unterstützende Prävention und Intervention bei der Aufgabenbearbeitung (ESCHELMÜLLER: 2007, 43)
Abbildung 8: Unterstützende Prävention und Intervention bei der Aufgabenbearbeitung (ESCHELMÜLLER: 2007, 43)

5.     Als Coach ein Verständnis für angemessene Lehr-Lern-Beratungsgespräche haben und über ein entsprechend erweitertes Rollenrepertoire verfügen.

 

Im Lerncoaching stehen Lehrpersonen vor der Aufgabe SchülerInnen nicht nur pädagogisch (fachspezifisch, lernstrategisch), sondern bis zu einem gewissen Grad auch psychologisch (motivierend, stärkend) beraten. Lehrpersonen werden in Gesprächssituation immer wieder mit Problemen konfrontiert, in denen sich die ergebenden Schwierigkeiten nicht auf Defizite in fachlicher-theoeretischer Kompetenz zurückführen lassen, sondern darauf, dass ihnen die Fertigkeit fehlt, Gespräche konstruktiv zu führen. Notwendig sind deshalb auch Fertigkeiten, Lehr-Lern- oder Coaching-Gespräche kompetent nach den Grundsätzen der Beratungspsychologie zu führen. Das bedeutet für Eschenmöller:

 

  • Als Beraterin und Berater kongruent (echt) sein
  • Die Lernenden wertschätzen und deren Ausgangslage bezüglich der manifestierbaren Performanz zu akzeptieren, im Wissen, dass jedes Verhalten und jede Performanz gute Gründe hat.
  • Als Berater und Beraterin emphatisch sein, das heisst auch die Gefühle, Wünsche und das Erleben der Lernenden verstehen und einbeziehen.
  • Vor allem Lernende mit geringem Selbstwirksamkeitskonzept benötigen Ermutigung und passende Unterstützung.
  • Als Berater und Beraterin eine konstruktivistische und neugierige Sichtweise auf Probleme haben. In dieser Sichtweise gibt es zuerst einmal keine «falschen» Konstruktionen, sondern nur unterschiedliche passende und weniger passende.

(ESCHELMÖLLER, 2007, 51)

 

Konkret öffnet sich nun für das Lerncoaching ein riesiges Feld. Es bestehen unzählige Modelle und Ansätze, wie man Personen in Bezug auf eine herausfordernden (Lebens)Aufgabe coacht. Zum Abschluss möchte ich noch zusammentragen, welche Instrumente Eschenmöller in Bezug auf das Lerncoaching im kompetenzorientierten Unterricht empfiehlt.

 

A: Es braucht Instrumente, die für das Lernen eine Orientierungshilfe darstellen, um geforderte Kompetenzen transparent zu machen: Kompetenzmodelle.

 

B: Es braucht Instrumente, um den persönlichen Kompetenzstand und die –entwicklung zu dokumentieren: Lernportfolio.

 

C: Es braucht ein besonderes Zeitgefäss, um anderen eigene Leistungen vorzustellen: Präsentationsgefässe.

schlussfolgerungen für den kompetenzorientierten Geschichtsunterricht

Zu Beginn der Ausbildung sollt eine «Standortbestimmung» der Lernenden erfolgen, die es der Lehrperson ermöglicht, schon frühzeitig und «kompetenzorientiert» den Lernstand einzelner Lernenden abzuschätzen. Wenn dies in umfassender Form erst nach einem halben Jahr passiert, verlieren wir wertvolle Zeit. Für diese «Standortbestimmung» müssen wir uns an den Kompetenzbereichen des Lehrplans 21 orientieren.

 

Es reicht nicht die SchülerInnen nur pädagogisch-didaktisch in Bezug auf fachlich-didaktischer Ebene zu begleiten. Dies bedingt einerseits die Bereitschaft, sich vertieft mit der Beratungspsychologie auseinanderzusetzen (oder weiterzubilden) es bedingt, aber auch, dass wir beim Beobachten und Analysieren des Lernverhaltens der Lernenden immer alle 4 Kompetenzbereiche im Blick haben. Auch Kompetenzraster von «überfachlichen Kompetenzen» sind in die Lernbegleitung zu integrieren. Dann hätten wir die Möglichkeit Lernfortschritte oder Lernschwierigkeiten bei Lernenden in «3 Dimensionen» zu verorten. Erstens bezüglich der Fähigkeiten der einzelnen Arbeitsphasen, dann in Bezug auf die historische Fachkompetenz und schlussendlich in Bezug auf die überfachlichen Kompetenzen. Diese 3 Werkzeuge sollen beim Lerncoaching helfen, eine möglichst präzise Analyse der (nicht) gezeigten Performanz vorzunehmen.

 

Für die individuelle Lernbegleitung sind regelmässige Lernstandsgespräche und das Präsentieren von Lernprodukten/Lernfortschritten unerlässlich. Dies bedingt, dass man bei der Jahresplanung die Zeitgefässe für diese Instrumente einplant.

 

Die Arbeit mit «Portfolios» ist ein sehr wirksames Instrument um individuelle Lernbegleitung zu ermöglichen.