Individuelles Fördern in Bezug auf die Kompetenzstufen

(auch: Differenzierter oder binnendifferenzierter Unterricht)

 Die Forderung nach Individualisiertem Unterricht ist alt und natürlich in jeder Hinsicht berechtigt. Bei der Wissensvermittlung entsteht kein objektives Wissen. Wissen als Prozess und Produkt wird individuell konstruiert. Was es vielleicht in einer Schulklasse durchaus gibt, sind ähnliche Lerntypen oder SchülerInnen mit ähnlich gelagerten Fähigkeiten.

 

 Annemarie von der Groeben ermuntert generell dazu, die Unterschiede, die sich in einer Schulklasse, nicht nur bezüglich der Leistung, sondern auch bezüglich sozialer Hintergründe, Lebensschicksalen und Verhaltensweisen, grundsätzlich zu bejahen und zu nutzen.

 

«Der Umgang mit Heterogenität in der Schule hängt entscheidend von normativen Vorgaben ab, die unsere Einstellung prägen. Wenn wir der Meinung sind, dass Schülerinnen und Schüler, die einer gesetzten Norm nicht genügen «nicht hierhergehören» nehmen wir es mit der Heterogenität nicht wirklich auf und können auch keine entsprechende Unterrichtskultur entwickeln. Umgekehrt: Nur wenn wir die Unterschiedlichkeit der Schülerinnen und Schüler als produktive Herausforderung akzeptieren, können wir die Chance nutzen, auf dieser Grundlage eine entsprechende Unterrichtskultur zu entwickeln.» (GROEBEN, 2011, 37)

 

Von der Groeben entwickelt ein Idealbild von einer Schule der Vielfalt und bietet eine Vielzahl von erprobten Unterrichtsbeispielen, die trotz der Heterogenität in Schulklassen funktionieren, ja in diese in vielen Fällen sogar nutzen.

 

«Jeder Unterricht, der die Verschiedenheit der Schülerinnen und Schüler «bedienen» und produktiv aufgreifen soll, muss primär von der Verschiedenheit der Lernwege her gedacht und geplant werden und nicht von normierten Anforderungen ausgehend. Je konsequenter wir das tun, umso eher kann es uns gelingen, alle Schülerinnen und Schüler zu individuellen Bestleistungen zu verhelfen. Anders gesagt: Individualiserung des Lernens mit dem Ziel, das alle Schülerinnen und Schüler in bestmöglicher Weise gefördert werden, ist kein Gegensatz zur Erfüllung von Leistungsansprüchen, sondern der beste Weg dorthin.» (GROEBEN: 2011, 28)

 

In diesem Sinne macht sich von der Groeben stark für eine Einsetzung der Kompetenzen, wie sie zum Beispiel in Schweden angewendet wird. (GROEDEN: 2011,7f) Die Kompetenzstufen sind nicht primär als Sollvorgaben für einzelne Jahrgänge gedacht, sondern als Orientierungsgrössen, die im Wesentlichen die Stufung des Lernens wiedergeben. Jeder weiss, dass Kinder, die zum Beispiel die Rechtschreibung lernen, unterschiedliche Stufen durchlaufen, jedoch unterschiedlich schnell und mit unterschiedlicher Verweildauer «auf einer Stufe». Dieses eigene Lerntempo ermöglichen wir am besten dadurch, indem wir im Kompetenzmodell Kompetenzbereiche und Kompetenzstufen nicht mit konkreten Inhalten (und damit konkreten «Zeitfenstern») verbinden. (siehe «historische Fachkompetenz»).

 

Andreas Feindt und Hilbert Meyer (MEYER: 2010, 32) raten zu einem pragmatischen Umgang mit der Forderung nach Individualisierung. Bei Klassengrössen von über 20 Schülern und Schülerinnen wird man kaum für jeden Lernenden individuell ein Programm zusammenstellen können. Dieser Aufwand wäre gar nicht zu leisten und wohl auch nicht zielführend. Deshalb unterstützten die beiden Autoren den seit Jahrzehnten von vielen Lehrpersonen gepflegten Kompromiss von einer kompetenzorientierten Gruppierung von schnellen und langsamen Lernern und dem Mittelfeld.

 

Diese Idee der «schlanken Individualisierung» durch die Aufteilung in «Stärkeklassen» wird allerdings von vielen Verfechtern der Kompetenzorientierung kritisiert. Keine Lerngruppen nach Niveaus innerhalb eines Thema fordert deshalb auch Daniel Hunziker (HUNZIKER: 2015, 20) Der Aufwand bei diesem niveaudifferenzierten Unterricht ist gross und der Effekt relativ gering. Auch Annemarie von Groeden (GROEDEN: 2011, 39) sieht bei Lerngruppen die grosse Gefahr, dass die schwächeren Schüler nur Aufgaben mit niederen Anforderungsbereichen lösen dürfen. Der Weg den Hunziker und Groeden vorziehen sieht es vor, dass man immer der ganzen Lerngruppe eine ganze Palette an Aufgaben aus unterschiedlichen Kompetenzbereichen und auf unterschiedlichen Niveaus anbietet. Dann sollen sich die Lernenden aus mit den Aufgaben den eigenen Lernweg zusammenstellen. Das heisst einerseits die Aufgaben aussuchen, die gelöste werden wollen, anderseits aber auch begründen, warum eine Aufgabe weggelassen wird. Erst dann wird feststellbar, was Ihnen Mühe macht. Statt die Lernenden in einem «goldenen Käfig» der Niveauaufgaben zu parkieren, soll das «Suchen der eigenen Lernspur» das Wachsen an der Herausforderung fördern. Die Offenheit der Sozialformen soll es ermöglichen, eine herausfordernde Aufgabe zuerst vielleicht mit Unterstützung der Lehrperson oder in einem Tandem mit einer Kolleginnen zu lösen. Ausserdem ist diese Art der «Individualisierung» eine gute Ausgangslage, um die Auseinandersetzung mit dem eigenen Lernen (siehe Metakognition) anzuregen.

 

Zu guter Letzt machen sich Hunziker und von Groeden auch dafür stark, die Lernenden möglichst stark in die Unterrichtsplanung zu integrieren. Gerade in der Pubertät ist es besonders wichtig betont zum Beispiel Groeden (GROEDEN: 2011, 57) dass die Schülerinnen und Schüler den Unterricht als «ihr Ding» erleben, dass ihre Fragen ernst genommen, ihre Anregungen aufgegriffen werden. Die Schülerinnen und Schüler beteiligen sich also an der Planung des Unterrichts. Zu jedem Thema werden Spezialisierungsmöglichkeiten geboten, die sie nicht nur frei wählen, sondern falls gewünscht auch selbst bestimmen können.

Schlussfolgerungen für den kompetenzorientierten Geschichtsunterricht

 

Als Konsequenz aus obigen Überlegungen bietet sich also an, die Individualisierung nicht in Form von «Niveaugruppen» einzulösen, sondern in der Form der «Lernspur». Das bedeutet, dass Aufgaben von unterschiedlicher Art und unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad angeboten werden. Die sich daraus ergebenden unterschiedlichen Spezialisierungs- und Lernmöglichkeiten sind die Grundlage der Differenzierung. Dabei können wir bei jedem Thema zwischen obligatorischen und freiwilligen Aufgabenbereichen unterscheiden. Bildungsziele und Inhalte definieren die gemeinsame Arbeit (Basiswissen), aus den vielfältigen Anforderungen der Sache ergeben sich unterschiedliche Spezialisierungsmöglichkeiten, aus denen sich zunächst auf ein begrenztes Thema bezogen und im Gesamtbild über das Jahr hinweg, individuelle Lern- und Leistungsprofile ergeben. (siehe auch «Portfolio»). Dabei sollen die Lernenden auch die Möglichkeit erhalten, selber Spezialisierungsbereiche und –aufgaben für sich zu formulieren. Dies ist für viele Lernende immer auch sehr herausfordernd. Deshalb bietet sich an, diese offenen Unterrichtsformen über die 3 Ausbildungsjahre hinweg sorgfältig einzuführen und die Wahlmöglichkeiten schrittweise zu erweitern.