Kompetenzstufen für den Geschichtsunterricht an Mittelschulen

Die Ausgangslage für jeden kompetenzorientierten Unterricht in den Fachbereichen muss konsequenterweise die Ausarbeitung der Kompetenzbereiche und der Kompetenzstufen sein. Erst wenn diese ausformuliert sind, können wir uns den weiterführenden

Gestaltungsmerkmalen des KoU zuwenden. Ohne klares Kompetenzraster können wir keinen Lernstand festhalten, keinen systematischen Wissensaufbau anstreben, keine fundierte Reflexion über den Lernstand anregen oder keinen kompetenzbezogene

Lernleistungskontrollen einführen. Das Festlegen von Kompetenzzielen ist eine Schlüsselstelle bei der Planung von Unterricht. Nun

haben wir festgestellt, dass bestehende Modelle zwar im groben 4 Kompetenzbereiche für einen historischen Unterricht definieren. Diese grobe Unterteilung lässt aber mehr Fragen offen, als sie beantwortet. Wie definieren wir in diesen 4 Bereichen nun sinnvolle Abstufungen, die so ausgearbeitet und formuliert sind, dass man den Lernstand der SchülerInnen messen kann? An welchem Themen und in welcher Form sollen die Kompetenzbereiche gezielt gefördert werden und wie soll das geschehen? Wie werden die Kompetenzen im Schulalltag sichtbar und in welchen Handlungen manifestieren sich Verbesserungen in Kompetenzbereichen? Die Modelle liefern zwar ein theoretisches Gerüst, das schwierige und aufwändige Herunterbrechen dieser Theorie überlassen Sie aber den Lehrpersonen oder

Fachschaften.

 

Wenn wir uns nun aufgrund der Expertenmeinung (siehe «Historische Fachkompetenz») dazu entscheiden, die historischen

Kompetenzstufen losgelöst von den Inhalten zu formulieren, hat sich eine Schwierigkeit dieser Aufgabe noch zugespitzt. Wie formulieren wir den Kompetenzaufbau so, dass sich erworbene Kompetenzen auf jeder Stufe in einer «Permormanz» manifestieren und damit beobachtbar und in einem letzten Schritt auch abgerufen, «kontrolliert», werden können?

 

Grosse Hilfestellung dazu liefert uns dazu die Arbeit von Wolfgang Taubinger und Elfriede Windischbauer zu genau diesem Thema. In

Österreich ist die Kompetenzorientierung auf der Stufe Sek I in den Lehrplänen seit 2008 verankert. (TAUBINGER: 2011)

 

Auch die österreichischen Geschichtsdidaktiker haben sich bei der Ausarbeitung des kompetenzorientierten Unterrichts offenbar am FUER-Modell orientiert und unterscheiden die uns bekannten 4 Kompetenzbereiche, die hier noch einmal in tabellarischer Form zusammengefasst werden.

Abbildung 6: Historische Kompetenzen nach FUER-Modell (TAUBINGER: 2011, 6)
Abbildung 6: Historische Kompetenzen nach FUER-Modell (TAUBINGER: 2011, 6)

Der nächste Schritt besteht nun darin in den hier noch einmal vorgestellten und ausformulierten Kompetenzbereichen sinnvolle Kompetenzstufen zu bilden. Die in den Tabellen geschilderten Fähigkeiten und Fertigkeiten werden ja stufenweise erworben. Zudem

werden die Lernenden zu Beginn der Ausbildung in den verschiedenen Kompetenzbereichen auch ganz unterschiedliche Fertigkeiten mitbringen (siehe Ausgangslage). Zur Gestaltung dieser Kompetenzstufen behelfen sich die österreichischen Autoren mit einem Operatorenkatalog, der vom Ministerium für Kultus, Jugend und Sport im Bundesland Baden-Württenberg zusammengestellt wurde. Diese haben zuerst eruiert in welcher Performanz (Handlung) sich unterschiedlich ausgebildete Fertigkeiten zeigen und diese Handlungen dann in Operatoren (Handlungswörter) übertragen. Diese Handlungswörter wurden schlussendliche in 3 Kompetenzstufen (hier: Anforderungsbereiche) untergliedert. Das Resultat zeigt sich in der folgenden Tabelle.

Abbildung 7: Anforderungsbereiche für historische Kompetenz. (TAUBINGER: 2011, 8)
Abbildung 7: Anforderungsbereiche für historische Kompetenz. (TAUBINGER: 2011, 8)

Die folgenden 3 Tabellen zeigen nun die Adaption der Anforderungsbereiche auf die geschichtsspezifischen Kompetenzen und der

entsprechenden «Operatoren».

Abbildung 8: Operatoren des Anforderungsbereichs I des historischen Lernens. (TAUBINGER:2011, 8)
Abbildung 8: Operatoren des Anforderungsbereichs I des historischen Lernens. (TAUBINGER:2011, 8)
Abbildung 9: Operatoren des Anforderungsbereichs II des historischen Lernens. (TAUBINGER:2011, 9)
Abbildung 9: Operatoren des Anforderungsbereichs II des historischen Lernens. (TAUBINGER:2011, 9)
Abbildung 10: Operatoren des Anforderungsbereichs III des historischen Lernens. (TAUBINGER:2011, 9)
Abbildung 10: Operatoren des Anforderungsbereichs III des historischen Lernens. (TAUBINGER:2011, 9)

Wenn wir versuchen auf Basis der formulierten Anforderungsbereiche von Taubinger eine Übersicht über mögliche Kompetenzbereiche und –niveaus (also ein Kompetenzraster) für den Geschichtsunterricht an einer Mittelschule herauszuarbeiten, sind für mich einige Anpassungen gegenüber dem ursprünglichen Vorschlag vonnöten. Die oben gemachte Unterteilung in 3 Anforderungsbereiche lässt sich vereinfacht mit den Begriffen «Reproduktion», «Transfer» und «Reflexion» zusammenfassen. Im Kern ist diese Abstufung nichts Neues und reproduziert im Grunde die bekannten Taxonomiestufen von Bloom in etwas adaptierter Form. Diese werden gemeinhin in die 3 Bereiche

«Wissen», «Anwenden» und «Gestalten» unterteilt.

Während die beiden unteren Anforderungsbereiche die gleiche «Performanz» umschreiben, scheint mir vor allem der dritte Anforderungsbereich «Reflexion» oder auch «Problemlösung» zu wenig handlungsorientiert. Das «Erschaffen» oder «Handeln», das bei Bloom die höchste Stufe manifestiert, ist bei den vorgestellten Anforderungsbereichen von Taubinger in einer sehr schulischen und damit «künstlichen» Form vorhanden. Interpretieren, erörtern oder bewerten beziehen sich unter Berücksichtigung der formulierten Beispiele auf Papier- und Stiftaufgaben, die die Lernenden geflissentlich an Ihrem Arbeitsplatz im Schulzimmer lösen können. Ziel müsste sein das Lernen in einem letzten Schritt (und damit in einer vierten Kompetenzstufe) aus dem schulischen Umfeld herauszutragen. «Erschaffen»

bedeutet auch «in der Welt handeln» (wie es im Lehrplan 21 festgehalten wird). Dieser Antrieb, im Bewusstsein der eigenen Kompetenzen (überfachliche und fachliche), wirksam zu werden, wäre diese letzte zu erreichende Kompetenzstufe 4. Bei dieser Stufe macht es wohl wenig Sinn die vier historischen Kompetenzbereiche weiterhin zu unterscheiden. In einer solch beschriebenen Handlungsfähigkeit

vermischen sich verschiedene überfachliche und fachliche Kompetenzen und bestärken sich gegenseitig. Es liegt auf der Hand, dass das Erreichen dieses vierten Anforderungsbereiches kaum gezielt gefördert werden kann und es kann auch nicht der Anspruch sein, bei allen Lernenden diese Stufe anzupeilen und es damit als «Zielbereich» zu definieren. Aber wenn Lernende in offenen Unterrichtsformen

dieses Engagement zeigen und bereits sind über die schulischen Strukturen hinaus sich für ein Thema zu engagieren, gilt es ein Lernumfeld zu gestalten, das dieses «Ausbrechen» ermöglicht oder gar zu dazu inspiriert. Es geht also mehr um das Bewusstsein, dass «Reflexion» über ein Thema nicht die höchste Kompetenzstufe sein kann.

 

Ebenfalls elementar scheint mir die Warnung, dass die Kompetenzstufen nicht dazu verleiten sollten, dass die «einfacher denkenden»

Lernenden die einfacheren Aufgaben bekommen, die Klugen die anspruchsvolleren. Es kann also nicht sein, dass die schwächeren Schüler keine Aufgaben auf der Kompetenzstufe 3 lösen können oder dürfen, weil man das Gefühl hat sie seien dieser Stufe «noch nicht gewachsen». Annemarie von der Groeden (GROEDEN:2011, 42) und auch Daniel Hunziker (HUNZIKER: 2015, 20) warnen davor problemorientiertes Lernen als ein Mittel der Binnen-und Leistungsdifferenzierung zu verstehen., Diese Schlussfolgerung wäre in mehrfacher Hinsicht absurd. Gerade im Versuch, herausfordernde Problemstellungen zu lösen, führt in vielen Fällen dazu, dass

Lernfortschritte gemacht werden (siehe Merkmal «Individualisierung»). Klar ist auch und das merken auch Wolfgang Taubinger und Elfriede Windischbauer an (TAUBINGER: 2011, 10), dass sich auch innerhalb einer Kompetenzstufe den Schwierigkeitsgrad einer Aufgabe massiv unterschieden kann. Keiner würde behaupten die Dekonstruktion eines Tagebucheintrages der eigenen Grossmutter sei gleich anforderungsreich wie die Dekonstruktion eines Parteiprogramms aus der Zeit der Weimarer Republik. Die Lösung, die sich hier anbietet ist, dass man innerhalb jeder Kompetenzstufe und jedes Kompetenzbereichs noch einmal zwei Niveaus unterscheidet. Diese Niveaus unterscheiden sich vor allem anhand der Komplexität des bereitgestellten Quellenmaterials.

 

Mit diesen Überlegungen sollte es möglich sein einen ersten Versuch für ein Kompetenzraster zu starten. Ein Kompetenzraster für den Geschichtsunterricht wird uns in vielen Bereichen wertvolle Hilfestellung bieten:

 

  • Als Grundlage für eine formative Standortbestimmung zu Beginn der Ausbildung.
  • Als Diagnoseinstrument für Standortgespräche mit Lernenden (auch genannt «Lernstandsdiagnose»)
  • Lernorganisatorisch als Grundlage für die Zuweisung von Personen beispielsweise zu Leistungsgruppen oder didaktisch als Grundlage für die Auswahl von Lernmaterialien, bzw. für die Gestaltung von leistungsdifferenzierten Lernarrangements (obwohl man diese Form von Differenzierung sehr vorsichtig anwenden sollte).
  • Als Grundlage für eine transparente «kompetenzorientierte» Leistungsbeurteilung.